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Rübezahl märchen film

Die Wacht über das Riesengebirge führt niemand Geringeres als Rübezahl. Im Jahr 2017 brachte das ZDF die überlieferten Geschichten um diese Fabelgestalt auf die Leinwand, wobei Sabin Tambrea sie mit einem androgynen statt grobschlächtigen Auftreten verkörperte. Dieses Unterfangen kann als gelungen angesehen werden.

Als Johann K. A. Musäus (1735-1787) im Jahre 1783 fünf Sagen über Rübezahl in sein Werk „Volksmärchen der Deutschen' integrierte, war ihm womöglich nicht klar, dass er damit dem Berggeist ein literarisches Denkmal setzte, dessen Wirkung bis in die Gegenwart reicht. Allerdings hatte bereits über ein Jahrhundert zuvor Johannes Praetorius (1630-1680) eine umfassende Sammlung von 241 Geschichten über den ‚Herrn des Riesengebirges' herausgegeben. In beiden Fassungen steht er den Menschen bei, treibt aber ebenso Schabernack mit ihnen.

Gleichwohl war es Musäus, der mithilfe seiner volkstümlichen, teils ironisch gehaltenen Rübezahl-Erzählungen das „Kunstmärchen der deutschen Aufklärung' prägte. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als die Volkspoesie noch erhebliche Widerstände zu überwinden hatte. So kritisierte Christoph Martin Wieland (1733-1813), welcher die beim Adel favorisierten Feenmärchen bevorzugte: „Ammenmärchen, im Ammenton erzählt, mögen sich durch mündliche Überlieferung fortpflanzen, aber gedruckt müssen sie nicht werden.' (Wie die ARD dessen Märchen „Prinz Himmelblau und Fee Lupine' verfilmte, können Sie hier erfahren.)

Wo ist der Berggeist Rübezahl beheimatet?

Musäus' Erzählungen über Rübezahl sind dabei im eigentlichen Sinne keine Volks- oder Kunstmärchen, sondern eher Sagen, auch deshalb, weil er ihnen konkrete Orte zuwies: Der Berggeist ‚verweilt' nämlich im schlesischen Riesengebirge, einer Region, die sich heute im Grenzgebiet von Polen und Tschechien erstreckt.

Riesengebirge: Dieses Gebirge ist das höchste Europas nördlich der Alpen gelegen / © Dieter Schütz/pixelio.de


Darüber hinaus beinhalten seine Erzählungen konkrete geografische Angaben, wie zum Beispiel die Namen der Städte Hirschberg (poln.: Jelenia Góra), Lauban (poln.: Lubań) oder Reichenberg (tsch.: Liberec). Letzten Endes nahm Musäus in den Sagen „stets Bezug auf den Zeitgeist und die Zeitgenossen' (Freund 2005, S. 31), ein Umstand, der gleichermaßen charakteristisch für das Sagenhafte ist und dazu gedacht war, den scheinbaren ‚Wahrheitsgehalt' zu steigern.

Wie präsentiert sich die Sagengestalt Rübezahl?

Im neunzehnten Jahrhundert, als sich die Epoche der Romantik wieder Märchen und Sagen zuwandte, zog auch Musäus' Rübezahl Nutzen daraus - insbesondere visuell. Bedeutende Maler und Zeichner, darunter Moritz von Schwind (1804-1871) und Ludwig Richter (1803-1884), prägten sein äußeres Erscheinungsbild.

Rübezahl: Seine Abbildungen schufen Moritz von Schwind (l.) und Ludwig Richter / Quellen: Zeno.org/Wikimedia Commons


Während er bei von Schwind (circa 1845) als leicht gebeugter Bergknappe mit Umhang, Kapuze und ausladendem Bart präsentiert wird, der ruhelos umherzieht, verbreitet er bei Richter (etwa 1848) als grobschlächtiger Gigant Schrecken bei Jung und Alt.

Von „Rübezahls Hochzeit' zur DEFA-Interpretation des „Rübezahl'

In den Folgejahren fand der Berggeist Eingang in den deutschen (Stumm-)Film: Paul Wegener (1874-1948) setzte Motive der Sage in Szene, wobei er die Titelrolle selbst als Sagengestalt beziehungsweise Forstinspektor, der auf Brautschau ist, übernahm. Die Figur des Rübezahl in „Rübezahls Hochzeit' (aus dem Jahre 1916) zeigt sich als vollbärtiger Verwandlungskünstler, dessen Erscheinung sich an Illustrationen von Schwind und Richter anlehnt.

Rübezahls Hochzeit (1916) / © DFF - Deutsches Filminstitut &038; Filmmuseum/Nachlass Paul Wegener-Sammlung Kai Möller


Rübezahl - Herr der Berge (1957): Welche Intention verfolgt die Titelfigur (Franz Essel)? / © Icestorm/Schongerfilm


Rübezahl (1975-1983): Der Berggeist als Marionette / Quelle: Icestorm/VZ-Handelsgesellschaft


Ebenso verhält es sich mit dem Berggeist, der über vier Jahrzehnte später im westdeutschen Märchenfilm „Rübezahl - Herr der Berge' (1957, Regie: Erich Kobler) in der Sphäre der Menschen für das Wohl sorgte. Oder man denke an die Stop-Motion-Figur Rübezahl, die das DEFA-Studio für Trickfilme Dresden (DDR) und Krátký Film Prag (ČSSR) im Zeitraum von 1975 bis 1983 in dreizehn Animationsfilmen zum Leben erweckten.

Der ZDF-Märchenfilm „Rübezahls Schatz' (2017)

Exakt ein Jahrhundert nach Wegeners „Rübezahl' und sechs Dekaden nach der Kobler-Inszenierung, erfolgte im Jahr 2017 die Neuentdeckung des Berggeistes durch das ZDF. Hierbei verwendete das öffentlich-rechtliche Medium für seine Märchenverfilmung zwar einzelne thematische Elemente aus den Musäus-Legenden, legte jedoch im Handlungsverlauf gleichzeitig neue Schwerpunkte (Drehbuch: Angelika Schwarzhuber, Bettina Janis).

Anfänglich vermittelt der Film den überwiegenden Eindruck einer ‚klassisch' umgesetzten Verfilmung, sobald eine männliche Erzählstimme aus dem Off - dies ist der Schauspieler Thomas Thieme („Das kalte Herz', 2014) - die Handlung einleitet: „Im wilden Riesengebirge lebt seit alten Zeiten ein Berggeist. […] Sein Name ist Rübezahl.'

Konventionelle Bildwelten - zeitgemäß arrangiert

Ebenso orientieren sich die von der Kamera Ngo The Chaus („Zwerg Nase', 2021) eingefangenen Bilder an den althergebrachten Bildwelten des Genres - wohingegen heutige moderne Kameradrohnen und digitale Spezialeffekte neue Potenziale eröffnen, diese Szenerien wiederholt neu zu gestalten. Hierin liegt der Kontrast zu den Märchenfilmen des zwanzigsten Jahrhunderts mit ihren zwar malerischen, aber oft statisch anmutenden Landschaftsbildern (unter anderem „Frau Holle - Das Märchen von Goldmarie und Pechmarie', 1961).

Rübezahls Schatz (2017): Die Böhmische Schweiz zählt ebenfalls zu den Drehorten / © Jörg Naujokat/pixelio.de


Für die bis dato jüngste „Rübezahl'-Adaption, welche im Frühjahr 2017 stattfand, dienten neben dem Riesengebirge auch die Böhmische Schweiz - jener Abschnitt des Elbsandsteingebirges, der auf tschechischem Gebiet liegt - als Drehorte. Dort gelang es dem Team um Regisseur Stefan Bühling („Die weiße Schlange', 2015), die geeigneten Kulissen für die Schauplätze zu identifizieren, an denen sich die geschilderten Vorkommnisse ereignet haben sollen.

Der Begriff ‚Schatz' umfasst mehr als lediglich materiellen Besitz

Schon der ambivalente Titel des ZDF-Märchenfilms - „Rübezahls Schatz' - gibt Aufschluss über den Kern der Erzählung: Zum einen geht es um einen Goldschatz, der dem Berggeist zu eigen ist und von ihm tief in einem Berg behütet wird. Bislang hat niemand einen Weg dorthin entdeckt. Als die begehrliche Baronin von Harrant (Catherine Flemming) davon Kenntnis erlangt, trachtet sie unbedingt danach, dieses Gold zu erlangen, da sie weitreichende Vorhaben verfolgt.

Rübezahls Schatz (2017): Baronin von Harrant (Catherine Flemming) ist noch in Feierlaune / © ZDF/Conny Klein


Demgegenüber symbolisiert ‚Schatz' im übertragenen Kontext eine geliebte Person, sei es die ‚Liebste' oder der ‚Liebster'. Denn dieser Märchenfilm ist, wie so oft, auch eine tiefgründige Liebesgeschichte. Gleich der ersten Legende, die Musäus niederschrieb, entwickelt Rübezahl Zuneigung zu einem jungen Mädchen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Prinzessin, sondern um die schlichte Magd Rosa (Henriette Confurius), welche als Bedienstete am Hofe der Baronin wirkt.

Die Sagengestalt Rübezahl in androgyner Ausprägung

Die Hauptfigur tritt hierbei - entgegen den Darstellungen in den Filmen des zwanzigsten Jahrhunderts - nicht als bärtiger, älterer Herr in Erscheinung, sondern als zeitlose, androgyn anmutende Gestalt mit schneeweißem Haar (Maskenbild: Ivana Němcová). Die Verkörperung des Rübezahl übernimmt der schlanke, seinerzeit 33-jährige Sabin Tambrea („Ludwig II.', 2012), wodurch er dem Charakter neue (optische) Dimensionen eröffnet.

Rübezahls Schatz (2017): Die Hauptfigur (Sabin Tambrea, r.) überlistet Erik (David Schütter) / © ZDF/Conny Klein


Dennoch bleibt er auch hier ein meisterhafter Verwandlungskünstler: Einmal betört er als Jäger Montanus (was ‚Gebirgsbewohner' bedeutet) die Magd Rosa, ein anderes Mal vertreibt er ihrem Freund, dem Schuhmacher-Lehrling Erik (David Schütter), als aristokratischer (Falsch-)Spieler die Neigung zum Glücksspiel (wodurch er sich, zumindest für eine begrenzte Dauer, auch einen Rivalen vom Leibe hält).

Der Forst als profitable Erwerbsquelle

Wenngleich vergleichbare Erzählmotive bereits bei Praetorius und Musäus existent sind, werden sie in „Rübezahls Schatz' intelligent miteinander verknüpft und zusätzlich ins späte achtzehnte Jahrhundert verlegt (Szenenbild: Jérôme Latour, Kostümbild: Kateřina Mírová). Dies war eine Ära, in der der Wald für den Adel „nicht mehr bloß als Schauplatz für die symbolische Jagd, sondern als Ertragsquelle' neu bewertet wurde.

Rübezahls Schatz (2017): Die Fabelgestalt ist auch zur Verwandlung in einen Wolf fähig / © ZDF/Conny Klein


Des Weiteren: „Mit der anlaufenden Kommerzialisierung des Holzes kam auch eine andere Denkweise
bezüglich des Waldes auf' (Grewe 2011). Die gewissenlose Baronin von Harrant verkörpert diese ‚moderne Anschauung', indem sie in ihrem Besitz stehenden Wald umfassend abholzen, ein Sägewerk errichten und damit primär finanzielle Gewinne erzielen möchte. Dies steht im Widerspruch zu den Überzeugungen des Herrn des Waldes - Rübezahl, woraufhin dieser feststellt: „Die Natur bedarf meines Schutzes - und zwar täglich mehr.'

Folglich reflektiert der ZDF-Märchenfilm auch gegenwärtige Debatten des einundzwanzigsten Jahrhunderts, wobei jedoch bewusst darauf verzichtet wurde, allzu offensichtliche Bezüge zur heutigen Zeit herzustellen - anders als die ARD-Adaption „Der starke Hans' (2020), die drei Jahre darauf folgte.

Was verbirgt sich hinter der Springwurz?

Dem Film gereicht es zudem zum Vorteil, dass die Erzählstränge in „Rübezahls Schatz' parallel um irrationale Aspekte erweitert wurden. Hierbei handelt es sich um die sogenannte Springwurz beziehungsweise Springwurzel.

Dieter Harmening (1937-2016), ein bekannter Volkskundler, bezeichnete sie im „Wörterbuch des Aberglaubens' als eine „sagenhafte, zauberische Pflanze, die Felsen u[nd] Schlösser zu sprengen vermag'. Er führte weiter aus: „Man gewinnt sie, indem man die Nisthöhle des Spechts verriegelt. Der Vogel bringe dann ein Kraut herbei, das er vor den Verschluss halte, worauf dieser abfalle' (Harmening 2005, S. 397).

Rübezahls Schatz (2017): Die Baronin und ihr gefügiger Gehilfe (Thorsten Merten) observieren den Specht / © ZDF/Conny Klein


Im Film gelingt es auch der Baronin, das Geheimnis dieser speziellen Fähigkeit des Spechts (die schon in der Antike geläufig war) zu entschlüsseln. Sie schafft es tatsächlich, mithilfe der Springwurz den Goldschatz des Rübezahl ausfindig zu machen - und ihn anfänglich zu überrumpeln.

Keltisch-inspirierte Fantasiegesänge von Oonagh

Über derartige narrative Konzepte hinaus, welche das Irrationale und Fantastische in den Vordergrund stellen, tragen ebenfalls (audio-)visuelle Effekte zum märchenhaften Ambiente dieser Filmadaption bei (Visuelle Effekte: George Pinkava, Musik: Stefan Maria Schneider).

Rübezahls Schatz (2017): Die Hauptfigur hegt romantische Gefühle für Rosa (Henriette Confurius) / © ZDF/Conny Klein


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Dabei bewirken die Gesangsstimme der deutschen Interpretin Oonagh (seit 2022 als Senta bekannt) und ihr keltisch-fantastisches Lied im Filmsong „Zauberwald', dass schlussendlich das Positive dennoch triumphiert und das Negative das Nachsehen hat.

Film: „Rübezahls Schatz' (BRD, 2017, Regie: Stefan Bühling). Diese Produktion ist auf DVD erhältlich.

Drehregionen und -schauplätze:

  • Böhmische Schweiz (auch: Tschechische Schweiz, tsch.: České Švýcarsko)
  • Riesengebirge (tsch.: Krkonoše)
  • Schloss Ploskovice (dt.: Ploschkowitz), Ploskovice 1, 411 42 Ploskovice, Tschechien
  • Tiské stěny (dt.: Felsenstadt Tyssaer Wände), Tisá 248, 403 36 Tisá, Tschechien
  • 100 00-199 00 Prag, Tschechien
  • 407 17 Hřensko, Tschechien

Referenzen und Literaturhinweise:

  • Diederichs, Ulf: Rübezahl. In: Ders.: Who's who im Märchen. München, 1995, S. 280f.
  • Freund, Winfried: Märchen. Köln, 2005
  • Grewe, Bernd-Stefan: Wald. In: Europäische Geschichte Online (EGO), hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (IEG). Mainz, 2011 (vom: 5.4.2011, abgerufen: 23.8.2022)
  • Harmening, Dieter: Springwurz(el). In: Ders.: Wörterbuch des Aberglaubens. Stuttgart, 2005, S. 397.
  • Musäus, Johann Karl August: Legenden von Rübezahl. Märchen und Sagen. Leipzig, 1979, S. 5-81.
  • Rott, Herbert W.: Sammlung Schack. Katalog der ausgestellten Gemälde. Hrsg. von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. München, 2009, S. 159.


Titelbild: Die Hauptrolle im ZDF-Märchenfilm „Rübezahls Schatz' (2017) wird vom Schauspieler Sabin Tambrea verkörpert / Foto: ZDF/Conny Klein

Dieser Artikel wurde am von Ron Schlesinger in der Kategorie Filme publiziert.